Die Redaktion muss auch mal "Nein" sagen können 

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Roman Heflik, Director Newsroom, LOOPING GROUP
18.11.2021

Wie LOUT berichtete, zählt die LOOPING GROUP inzwischen auch BMW und die AOK zu ihren Kunden. Viele von ihnen betreiben mittlerweile Newsrooms. Roman Heflik, Director Newsroom bei LOOPING, über die konzeptionellen, organisatorischen und operativen Herausforderungen solcher "PowerRooms". 

Herr Heflik, warum spricht man bei LOOPING statt von einem Newsroom lieber von einem PowerRoom? 

Mit dem Wort PowerRoom wollen wir die Kraft und die Möglichkeiten betonen, die von einem solchen kommunikativen Zentrum ausgehen können, wenn es sich wirklich auf Daten stützt und mit den richtigen Prozessen ausgestattet ist. Wie unsere Kunden diese Zentrale später tatsächlich nennen, bleibt natürlich ihnen überlassen: Manche sprechen von Newsroom, andere von Contentroom oder auch von ihrem Media House. Uns kommt es bei einem PowerRoom vor allem darauf an, ihn dank bestimmter Features effizient und wirkungsvoll zu machen.

Welche Features meinen Sie konkret? 

Einerseits die Fähigkeit zur Datenanalyse: Der klassische Newsroom sendet meist nur. Der PowerRoom dagegen stützt sich auf eruierte Daten und ist dadurch in der Lage zu verstehen, was Zielgruppen wirklich bewegt und interessiert. Inhalte und Botschaften können zielgenauer und auch kraftschonender entwickelt werden. Wir reagieren schneller auf externe Entwicklungen, bauen effzienter Follower auf und bringen Kampagnen schneller zum gewünschten Ziel. 

Wie sollte ein solcher PowerRoom idealerweise intern verankert sein? 

Was oft vergessen wird ist, dass jede Art von kreativer und redaktioneller Kraftquelle richtig verdrahtet sein muss. Das heißt: Ein neuer Newsroom allein macht die Kommunikation nicht unbedingt dynamischer, er muss auch mit den richtigen Prozessen an andere Abteilungen angeschlossen werden. Wenn Sprecher*innen des Vorstands oder Marketingverantwortliche weder miteinander noch mit Newsroom-Mitarbeitenden selbst sprechen, wenn es darüber hinaus keine klaren Briefings für Contentmanager*innen gibt oder die ganze Themenauswahl nicht transparent und klar gesteuert wird, dann wird der Newsroom zwangsläufig weit unter seinen Möglichkeiten bleiben – egal wie motiviert alle Beteiligten sind. Ein Newsroom ist das Gegenteil von Silo-Denken und Verantwortungsdiffusion. Hier muss einfach alles ineinandergreifen. 

Es braucht den richtigen Prozess zum Nein-Sagen 

Wie bohren Sie denn diese Silos auf? 

Wir untersuchen zunächst akribisch – oft über Wochen – alle Kommunikationsabläufe und -strukturen im Unternehmen, bevor die eigentliche PowerRoom-Entwicklung oder -optimierung beginnt. In zum Teil dutzenden Interviews auf Führungs- und auf Arbeitsebene finden wir heraus, was der spezifische PowerRoom wirklich leisten können muss. Dabei helfen unsere verschiedenen Backgrounds aus Beratung, Journalismus, Marketing und IT enorm. Auf Basis dieser gesammelten Daten entwerfen wir dann den strategischen Überbau, vom Leitbild bis hin zu den Prozessabläufen, damit alle Stakeholder – ob im Unternehmen oder bei den Dienstleistern – abgeholt werden und jederzeit wissen, was zu tun ist, auf welche Ziele sie hinarbeiten müssen. Dieses ganzheitliche Verständnis von Kommunikation ist ein wesentliches Kennzeichen unseres PowerRoom-Konzepts. 

Newsrooms transportieren oft noch vordergründig werbliche Botschaften. Wie lässt sich das verhindern? 

Es geht beim Newsroom ja erst einmal nicht darum, keinerlei Werbebotschaften mehr zuzulassen, sondern um die richtige Auswahl der relevanten Themen und um ihre richtige Aufbereitung. Aber manchen Unternehmen und Kommunikator*innen fällt diese Auswahl einfach sehr schwer. Meine Kollegen Gerald Selch und Peter Greve haben diese Frage einmal so beschrieben: "Es braucht vor allem den richtigen Prozess zum 'Nein'-Sagen." 

Gemeint ist: Während in Redaktionen ein "Nein" zu einem Themenvorschlag völlig normal und üblich ist, fürchten viele Kommunikatorinnen und Kommunikatoren, mit einer Absage jemanden im Unternehmen zu verprellen. Das ist menschlich nachvollziehbar – es bremst aber die Newsroom-Verantwortlichen massiv darin aus, sich auf Richtiges und Wichtiges zu fokussieren. Dagegen hilft kein Workshop, sondern nur der richtige Prozess: Das Unternehmen braucht eine dezidierte Content-Institution, die in der Lage ist, als Kollektiv Themen zu bewerten und gegebenenfalls auch souverän "Nein" zu sagen... 

... Und wie lässt sich ein solches "Nein" institutionalisieren? 

Idealerweise kommuniziert diese Institution ihre Entscheidung dann transparent – auf Basis klarer Kriterien, und verbunden mit einem konkreten Vorschlag zur Anpassung des Contents an andere Kanäle oder an andere Formate. So muss niemand fürchten, Kolleg*innen zu verprellen. Diese Content-Institution ist daher auch ein elementarer Baustein in fast allen unseren PowerRoom-Projekten. 

Welche Kriterien muss eine gute Newsroom-Beratung erfüllen? 

Sie macht sich selbst schnell überflüssig. Einen Newsroom samt Strategie aufzusetzen ist das eine. Aber man muss den Kunden auch befähigen, die Theorie eigenständig in die Praxis umzusetzen. Wir sind daher nach Konzepterstellung immer noch eine ganze Weile Coach und Sparringspartner, bis unsere Auftraggeber und wir das Gefühl haben, dass alles wie erhofft läuft. Erst dann ist unsere Mission wirklich zu 100 Prozent erfüllt. 

Mit absenderorientierten Botschaften kommt man nicht weit 

Dominik Wichmann sagt, Newsrooms müssten stärker vom Empfänger der Nachrichten her gedacht werden als bisher – an welchen Schrauben muss demnach gedreht werden? 

Wir leben heute in einer Redaktionellen Gesellschaft, in der jede und jeder zum Sender werden kann. Bei diesem Überangebot kommt man mit rein absenderorientierten Botschaften bei den Zielgruppen tatsächlich nicht mehr besonders weit. Kommunikator*innen sollten sich stattdessen die Mühe machen, stärker auf Daten zu setzen. Das heißt, sie müssen stärker in den Dialog gehen mit ihren Performance- und Kanalexperten. Nur so lässt sich herausfinden, wie Inhalte am besten aufbereitet und gesendet werden können. Die Daten sind für den Newsroom wie das Navi für den Autofahrer. Man muss sie nur lesen und in die richtige Route übersetzen können. 

Welche Rolle spielt dabei die interne Kultur? Jenny Gruner von Hapag Lloyd wies in einem LOUT-Beitrag gerade darauf hin, dass sich generell für die Transformation im Marketing das Mindset jedes Mitarbeiters wandeln müsse. 

Dass Menschen vor Veränderungen Angst haben oder vielleicht auch gelegentlich einfach keine Lust darauf, sich selbst zu verändern, ist die eine Seite. Wir erleben allerdings in unseren Projekten auch eine andere: Da berichten uns hochmotivierte Menschen, dass Führungskräfte den Wandel fordern, ihnen aber die Rahmenbedingungen dafür zunächst schuldig bleiben. Neue Strategien und Ziele werden kaum kommuniziert, die Verzielung der Mitarbeiter*innen wird nicht angepackt, Informationen teilt man lieber spät statt früh, eine klare Themenfokussierung wird gemieden… Während des PowerRoom-Prozesses identifizieren wir auch solche kulturellen Herausforderungen und können sie dann gemeinsam mit unseren Auftraggeber*innen angehen. 

Wie organisiert man sinnvoll die Themenfindung? 

Wichtig dafür sind drei Dinge: 

  1. Ein gutes und straff geführtes Konferenzsystem, in dem alle Ideen – ob von den Abteilungsleiter*innen, den Channelmanager*innen oder vom Dienstleister – effizient gesammelt werden. 

  2. Eine Kommunikationsstrategie, die festlegt, nach welchen Kriterien und von wem die gefundenen Themen ausgewählt oder abgelehnt werden und 

  3. Ein Planungs- bzw. Redaktionssystem, in dem ausgewählte Themen gesammelt werden und ihr Status für alle nachvollziehbar wird. 

  4. Die Themenfindung ist nur ein Teil des Ganzen, danach geht es natürlich weiter mit Planung, Umsetzung und Auswertung. 

Mitarbeitende blicken bei Tausenden von Assets nicht mehr durch 

Wie gelingt die Zuordnung von Themen und Kanälen? 

Diese Zuordnung wird auf jeden Fall nicht leichter – man denke nur an einen Social-Media-Kanal wie LinkedIn, wo inzwischen längst nicht mehr nur karrierebezogene Inhalte gepostet werden. Es kommt darauf an, dass Kommunikationsverantwortliche, Themen-Owner*innen und Channelmanager*innen initial gemeinsam auswerten, wo und in welcher Tonalität sich ein Thema am besten ausspielen lässt. Die Erkenntnisse fließen dann in eine Content-und Kanalstrategie und werden regelmäßig überprüft. 

Mit welchem Content-Management-System machen Sie gute Erfahrungen? 

Ich selbst bin da agnostisch. Wir arbeiten für Kunden mit verschiedensten CMS, einige nutzen Scompler, manche Dirico, wieder andere setzen auf ganz andere Lösungen. Meiner Erfahrung nach steht und fällt der Nutzen eines Tools nicht mit der Fülle an technischen Features, sondern mit etwas anderem: Viele Mitarbeitende fühlen sich entweder erschlagen von den vielen Einstellungsmöglichkeiten, oder sie blicken bei Tausenden von Assets nicht mehr durch, welche Inhalte für sie wichtig sind oder es demnächst werden. Hier kommt es auf eine klare Governance an, also eine eindeutige Zuständigkeit, gekoppelt an einen verbindlichen und für alle verständlichen Prozess, der in regelmäßigen Schulungen immer wieder trainiert wird. So schlägt man gemeinsam eine Schneise in den Feature-Dschungel und sorgt dafür, dass auch die Newsroom-Prozesse endlich digital werden.