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Instagram

Hat Tik Tok gewonnen?

Text von

Marie Dapoigny, Senior Editor LOOPING GROUP

Foto von

NINO/GC Images/Getty Images
04.08.2022 4 MINUTEN

  • Instagram ringt um Relevanz wie eine Wespe in der Honigfalle. Und bei Mutterkonzern Meta schrumpft zum ersten Mal in seiner Geschichte der Umsatz.

  • Konkurrent TikTok dagegen hat Google als meistbesuchte Website der Welt überholt. Hat TikTok also gewonnen?

  • Die Antwort ist nicht ganz so einfach – der Niedergang der App, die die Redaktionelle Gesellschaft in ihrer Anfangszeit geprägt hat, bedeutet den Aufstieg des Web3.

Im Laufe der Jahre hat sich die beliebte Foto-App in eine grausame Liebhaberin verwandelt. Und zwar in eine der verzweifelten Sorte: Nachdem sie ihre Unsicherheit durch den Diebstahl von Funktionen anderer Apps – Snapchat, TikTok und BeReal, um nur einige zu nennen – offenbart hatte, wurde sie unberechenbar. Und traf eine Reihe fragwürdiger Entscheidungen, nur um bei den meisten gleich wieder einen Rückzieher zu wachen: Wer erinnert sich noch an das berüchtigte horizontale Scrollen? Chronologische Feeds, irgendjemand? Und daran, als uns allen das Teilen von Grid-Posts in Stories untersagt wurde? 

Die jüngste Idee hat sich als ein verpfuschtes Lifting erwiesen: ein bildschirmfüllender Feed, der „empfohlenen Reels“ von zufälligen Accounts Priorität einräumt. Hinzu kommen eine immer kleiner werdende Reichweite, ein begrenztes Wachstum und unfaire Zensur: Kein Wunder, dass selbst die treuesten User die Lust verloren haben. 

Im vergangenen Monat ging die Online-Petition „Make Instagram Instagram again“ viral und erhielt Unterstützung von den IG-Queens Kim Kardashian und Kylie Jenner. Da muss mehr als eine Seele im Silicon Valley gezittert und sich an die gar nicht so lange zurückliegende Zeit erinnert haben, als die Aktie von Snapchat 1,3 Milliarden Dollar verlor, nachdem Kylie Jenner getwittert hatte, dass sie die App nicht mehr nutzt. 

Ein angemessener Zeitpunkt für Instagram-Chef Adam Mosseri, sich mit einem Video zu dem PR-Albtraum zu äußern und das „noch nicht gute“ (sic) Update zu verteidigen. 48 Stunden später kündigte Instagram an, dass es einige der unpopulären Änderungen rückgängig machen würde. 

Meta verliert zum ersten Mal an Umsatz

Aber das wird nicht ausreichen, um die wachsende Zahl verärgerter User zu beruhigen. Einige organisierten am Samstag, den 23. Juli, sogar eine „Instarrection“: eine Kundgebung vor dem Instagram-Hauptsitz in New York City, um gegen die Moderationspolitik von Instagram zu protestieren. Einige der Demonstrant:innen fesselten sich mit Handschellen an das Gebäude. Sie fordern „Transparenz in Bezug auf die Community-Richtlinien“ und dass Instagram aufhört, „marginalisierte Stimmen“ zum Schweigen zu bringen.

Auch Vice gab diese Woche bekannt, dass sich Künstler:innen und Aktivist:innen von Instagram abwenden. Man kann behaupten, dass Instagram inmitten dieses Tsunamis aus schlechter Presse und Kritik auf sein Ende zusteuert.

Nachdem wir gelernt haben, Facebook wegen der gefürchteten Funktion zur Personalisierung von Anzeigen zu misstrauen, die uns Cambridge Analytica, Trump und eine Welle der Radikalisierung bescherte, zeigt die App, die das Web 2.0 geprägt hat, bereits deutliche Anzeichen von Schwäche. Vier Monate nach der Meldung, dass das Unternehmen Nutzer verliert, verliert Meta jetzt auch noch an Umsatz – zum ersten Mal seit dem Börsengang von Facebook vor einem Jahrzehnt. 

Der Versuch von Instagram, das neue TikTok zu werden, ist ein Beweis für Metas Unfähigkeit, innovativ zu sein

Betrachtet man die derzeitige Welle von Memes (eine der zuverlässigsten Methoden, um die Meinungen der Internetkultur dieser Tage zu messen), so ist die Tatsache, dass Mark Zuckerberg die Zielscheibe (Wortspiel beabsichtigt) von so viel Spott ist, ziemlich aufschlussreich. Seine Dachgesellschaft Meta und die systematische Alles-auf-einmal-Philosophie zeigen ihre tiefen Risse. 

Der Versuch von Instagram, das neue TikTok zu werden, ist ein Beweis für Metas Unfähigkeit, innovativ zu sein und ein vielfältiges Ökosystem von Apps zu schaffen, das den Bedürfnissen junger User entspricht, analysiert Ryan Broderick in seinem sehr empfehlenswerten Newsletter Garbage Day: Selbst wenn TikTokstagram funktioniert, wird es nicht funktionieren

Wie sieht eine Welt nach Meta aus?

Die einfache Antwort, die in aller Munde ist, beginnt mit einem T. 

Ja, TikTok hat Google als meistbesuchte Website der Welt überholt. Ja, die App mit mehr als 1 Milliarde Nutzern erfüllt das globale Bedürfnis nach Authentizität, persönlichen Geschichten und ansteckendem Humor durch leicht reproduzierbare Inhalte. Für eine ganze Generation von Usern hat sie sich als die wichtigste Plattform für Ironie positioniert, das bevorzugte politische Mittel der Digital Natives. Die weit verbreitete und inzwischen SEO-freundliche Plattform steckt voller Herausforderungen und Versprechen für Verleger, Kreative und Medienschaffende, die sich an eine globale Community wenden wollen. 

Doch der neue Stern lässt seine Nutzer schon jetzt in einer Weise im Stich, die der seiner Konkurrenz nicht unähnlich ist. Wie seine Vorgänger wird TikTok überschwemmt. Wie Instagram wird es für seine willkürlichen Moderationspraktiken, das Shadow Banning und die Zensur marginalisierter Stimmen kritisiert. 

Wie uns die ersten Wochen des Krieges gegen die Ukraine gezeigt haben, gelingt es TikTok auch nicht, die Verbreitung von Fake News zu verhindern. Obwohl TikTok eine recht attraktive Kassandra dessen ist, was Trendanalyst:innen heute als „Vibe Shift“ bezeichnen – eine kulturelle Hinwendung zu Nischen und Mikrotrends –, bleibt es ein Gigant des zentralisierten Web 2.0 mit all seinen Fehlern.

Die Undurchsichtigkeit und Voreingenommenheit von Algorithmus-basierten Inhaltsplattformen steht im Widerspruch zu dem Bedürfnis der neuen Generation nach Transparenz. Die Redaktionelle Gesellschaft hat Monopole aufgelöst und die Machtverhältnisse neu sortiert. 

Was kommt also als Nächstes?

Bereiten Sie sich auf die post-algorithmische Welt des dezentralen Webs vor. Verabschieden Sie sich von den monolithischen Strukturen der Popkultur und der Mainstream-Medien. 

Die Popkultur ist tot, und das ist auch gut so, prognostizierte Dazed: Internet User „entscheiden sich zunehmend für hausgemachte Inhalte in Form von Twitch-Streams, Podcasts und Substacks. Online-Gemeinschaften oder mimetische Netzwerke (...) gedeihen über eine Reihe von Plattformen, Hashtags und Threads. Diese Verbreitung ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Menschen zunehmend bereit sind, für unabhängig produzierte digitale Inhalte zu bezahlen, aber auch auf die parasozialen Beziehungen, die die Menschen in den sozialen Medien pflegen, wo Künstler:innen, Autor:innen von Inhalten auf Discord-Servern direkt mit ihrer Fangemeinde kommunizieren.“ 

Anders gesagt: Alle sind Sender und Empfänger zugleich – und suchen sich nicht nur die passgenauen Inhalte für ihre individuellen Bedürfnisse und Nischen. Sondern auch die passgenauen Kanäle.  

Die Redaktionelle Gesellschaft kann sich auf eine Welt einlassen, in der die traditionellen Wächter verschwunden sind. Willkommen im Web3: ein Multiversum von Mikrogemeinschaften mit gemeinsamen Gefühlen und Interessen, in dem unabhängige Stimmen plattformübergreifend aufblühen. 

Zur Person

Portrait of Marie Dapoigny, Senior Editor Social Media at LOOPING GROUP.

Marie Dapoigny ist Senior Editor bei der LOOPING GROUP mit Sitz in Berlin. Zuvor war Marie für das Management der digitalen Strategie von Mixmag, Branded-Content-Lösungen und das Wachstum in Frankreich verantwortlich, später leitete Marie die Redaktion des digitalen Ökosystems von Telekom Electronic Beats. Marie ist jetzt #editor-in-chief von @h4ck.mag auf TikTok.

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